Die Auferstehung des Günter Grass


Am ersten Osterfest nach der Zeitenwende war plötzlich alles anders. Nicht der Heiland war auferstanden, sondern Günter Grass, wie es schien. Ein Junge aus Mecklenburg war der Erste, der sie gesehen hatte, die schemenhafte Figur im langen Mantel mit dem hochgestellten Kragen, einem Hut auf dem Kopf und der unvermeidlichen Pfeife im Mund. Seinen Aussagen zufolge war die Erscheinung an der Trave beim Lübecker Schellbruch entlang gegangen und hatte dabei sonderbar blass und müde ausgesehen. 

Weshalb er sich so sicher sei, hatte man ihn gefragt, worauf der Junge angegeben hatte, dass man Günter Grass dieser Tage im Deutschunterricht durchnehme. Und der Schüler wusste Interessantes zu berichten: Ganz leise habe er sich an den sonderbaren Mann heranschleichen können, als sich dieser auf einem Bänkchen zum Ausruhen niedergelassen hatte, so seine Schilderung. Jeder Zweifel sei wie weggeblasen gewesen, nachdem er den berühmten robbenhaften Schnauzbart gesehen habe, den nur jemand wie Günter Grass so voller Stolz tragen könne, ohne sich dessen zu schämen.

Unzählige Menschen hatten sich nach den Aussagen den Schülers auf den Weg gemacht und an allen möglichen Orten in und um Lübeck nach Günter Grass gesucht. Einige schworen, ihn gesehen und sogar angesprochen, leider zumeist jedoch keine verwertbare Antwort erhalten zu haben. Und so konnte sich in Lübeck die Erkenntnis verbreiten, dass einer der berühmtesten Einwohner der Stadt es dem christlichen Religionsstifter aus Nazareth gleichgetan hatte und auferstanden war.  

Von da an war die Stadt dem Untergang geweiht, denn die Lübecker hatten sich nicht mit der Auferstehung von Günter Grass zufriedengegeben, sondern hatten auch die Auferstehung von Thomas Mann und vor allem Willy Brandts erwartet, auf dass letzterer der Zeitenwende ein Ende setze.  

Hat leider nicht geklappt.